Dr. Britta Schautz, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Berlin, hilft bei der Orientierung und erklärt, worauf Verbraucherinnen und Verbraucher achten sollten.
Gibt es zu viele unterschiedliche Tierwohl-Labels?
Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher Fleisch kaufen, dann ist es ihnen immer wichtiger, dass das Tier auch gut gelebt hat, bevor es geschlachtet wurde. Unter welchen Bedingungen ein Tier gelebt hat, ist aber nur schwer zu erkennen, weil noch kein einheitliches Tierwohl-Label existiert. Es gibt eine Haltungskennzeichnung, die von vielen Handelsketten eingeführt wurde und jetzt auch vereinheitlicht ist. Hier geht es aber nur um die Haltungsbedingungen.
Es gibt zur Zeit zwei Labels, die Verbraucherinnen und Verbrauchern Informationen geben können: das Tierwohl-Label für artgerechte Tierhaltung von der Initiative Tierwohl und das Label „Für Mehr Tierschutz“ vom Deutschen Tierschutzbund.
Wie bewerten Sie das Label vom Deutschen Tierschutzbund?
Das Label „Für mehr Tierschutz“ vom Deutschen Tierschutzbund fokussiert vor allem auf das Wohl und die Gesundheit der Tiere. Es gibt eine Einstiegsstufe – hier liegen die Kriterien zur Schlachtung oder zur Transportdauer der Tiere über dem gesetzlichen Mindeststandard. Es wird also mehr für die Tiere getan. Es gibt in diesem Label noch eine Premium-Stufe, hier ist ein sehr hohes Maß an Tierwohl und Tiergesundheit sichergestellt. Diese Fleischprodukte gibt es noch relativ selten zu kaufen, weil sie im Handel noch nicht so breit vertreten sind.
Wie bewerten Sie das Label der Initiative Tierwohl?
Die Initiative Tierwohl wird von vielen Handelsketten gefördert. Landwirte, die Schweine, Hähnchen oder Puten halten, können sich der Initiative anschließen. Sie verpflichten sich damit, bestimmte Grundanforderungen wie mehr Platz, Beschäftigungsmöglichkeiten und gesundes Stallklima umzusetzen. Für ihren Mehraufwand erhalten die Landwirte einen finanziellen Ausgleich. Leider sind die Kriterien, um sich an der Initiative Tierwohl zu beteiligen, jedoch relativ niedrig angesetzt.
Bei Geflügel müssen die Hühner zehn Prozent mehr Platz im Stall haben als bei der konventionellen Geflügelhaltung. Bei der konventionellen Haltung leben bis zu 26 Hühner auf einem Quadratmeter. Bei den geforderten zehn Prozent mehr Platz wären das bei der Initiative Tierwohl 23 Hühner. Der Unterschied ist wirklich sehr gering. Da stellt sich die Frage, ob Verbraucherinnen und Verbraucher bereit sind, dafür mehr Geld zu bezahlen.
Das nächste Problem: Wenn Initiave Tierwohl auf der Verpackung steht, dann ist sichergestellt, dass darin auch Fleisch von einem teilnehmenden Betrieb ist. Bei Schweinefleisch hingegen ist nicht sichergestellt, dass wirklich für mehr Tierwohl gesorgt ist. Auf der Verpackung steht nur, dass die jeweilige Handelskette an der Initiative Tierwohl teilnimmt und dafür auch Geld gibt. Aber ob wirklich Fleisch von einem teilnehmenden Betrieb in der Verpackung steckt, ist nicht sicher. Das ist für Verbraucherinnen und Verbraucher absolut unbefriedigend und sollte schnellstmöglich geändert werden.
Auch für Geflügel gibt es natürlich einen Kriterienkatalog, den ein Betrieb erfüllen muss, wenn er an der Initiative Tierwohl teilnehmen möchte. Aber meistens können sich die Landwirtinnen und Landwirte auch hier aussuchen, welche Kriterien sie neben einem größeren Platzangebot erfüllen wollen. Andere Wahlkriterien sind zum Beispiel das Angebot an Beschäftigungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel ein Strohballen oder auch Scharr-Möglichkeiten für die Puten.
Wie bewerten Sie den mittlerweile einheitlichen Haltungskompass?
Positiv zu sehen ist an dem Haltungskompass, dass er in allen Handelsketten gleich aussieht. Das heißt, der Verbraucher sieht ein Label und findet es in dem anderen Supermarkt genauso wieder. Insgesamt ist natürlich positiv zu sehen, dass die Handelsketten sich der Thematik angenommen haben. Aber die Verbraucherzentralen haben noch einige Kritikpunkte.
Es gibt vier Stufen, wie Tiere gehalten werden.
- Die Stufe Eins suggeriert mir: Hier wird schon etwas getan, dabei ist das nur der gesetzliche Mindeststandard. Und man kann sich darüber streiten, ob der wirklich für artgerechte Tierhaltung steht oder nicht.
- In Stufe Zwei müssen die Kriterien der Initiative Tierwohl erfüllt werden, das heißt: zehn Prozent mehr Platz. Das trägt ebenfalls nicht sehr viel zum Tierwohl bei.
- In Stufe Drei haben wir Außenklima. Das heißt, die Tiere müssen nicht auf der Weide stehen, aber es muss Frischluft vorhanden sein.
- In Stufe Vier haben wir gemischt Premium-Haltung und Bio, das heißt, hier ist Auslauf auf jeden Fall vorgeschrieben. Stufe Vier entspricht den Kriterien der EU-Bioverordnung. Aber: Dies gilt nur für unverarbeitete Fleischprodukte, also zum Beispiel für eine Hühnchenbrust. Wenn ich jetzt etwa ein paniertes Schnitzel kaufe oder eine Wurst, dann erkenne ich gar nicht mehr, wie dieses Tier gelebt hat.
Welche Forderungen hat die Verbraucherzentrale Berlin an den Haltungskompass?
Beim Haltungskompass wünschen wir uns natürlich, dass das Angebot den Kundinnen und Kunden eine wirkliche Wahl lässt. Zurzeit gibt es ein großes Angebot an Produkten nur in Stufe Eins und in Stufe Zwei. Bei Stufe Drei haben wir im Handel bisher nur ganze Hühnchen gefunden. Und in Stufe Vier gibt es sehr wenig Auswahl.
Wir wünschen uns vom Handel, dass die Lebensmittelketten langfristig nur noch Produkte mit den Stufen Drei und Vier führen, die ein wirkliches Mehr an Tierwohl bieten. Und natürlich wäre es wichtig, dass auch Tiergesundheitsdaten mit aufgenommen werden.
Was empfehlen Sie Verbraucherinnen und Verbrauchern?
Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher wirklich „mehr Tierwohl“ kaufen wollen, sollten sie Biofleisch kaufen. Das findet sich in Stufe Vier. Noch stärkere Kriterien haben die Bio-Anbauverbände wie Demeter oder Bioland. Dafür muss der Handel dann aber auch ein entsprechendes Angebot vorhalten.
Wie sind die Pläne von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner für ein staatliches Tierwohl-Label zu bewerten?
Natürlich ist es wünschenswert, wenn wir nur noch eine Kennzeichnung hätten. Das wird mit einer staatlichen Kennzeichnung für das Tierwohl möglich. Denn es ist verwirrend, wenn zurzeit mindestens drei unterschiedliche Labels im Supermarkt zu finden sind. Besser wäre eine verpflichtende Kennzeichnung. Das könnte aber nur auf EU-Ebene durchgesetzt werden, dafür müsste sich das Bundeslandwirtschaftsministerium stark machen.
Die freiwillige Kennzeichnung ist demnach ein guter Anfang. Langfristig fordern wir jedoch eine verbindliche Haltungskennzeichnung auf europäischer Ebene, ähnlich wie die Eier-Kennzeichnung. Seitdem sind die Käfig-Eier aus dem Supermarkt so gut wie verschwunden.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter:
https://www.verbraucherzentrale-berlin.de/tierwohl